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Schnorr von Carolsfeld, Bahrprobe, 1846
In dunkler Nacht, zur ersten Wacht, ward der tote Siegfried in einem Nachen über den Rhein gebracht. Der übel wollende Hagen ließ ihn ins Schloss tragen und vor die Tür zu Kriemhilds Kemenate legen. Dort fand sie den Leichnam ihres Mannes, als sie zur Frühmesse gehen wollte. Alsbald war ihr klar: "Brunhild hat´s geraten, Hagen hat´s getan". Blankes Entsetzen ergriff den gesamten Hof.
König Siegmund, in Worms weilender Vater Siegfrieds, rief samt seinen Getreuen nach sofortiger Vergeltung. Aber die untröstliche Kriemhild behielt in allem Schmerz die Übersicht. Gegen die überlegenen Burgunden habe in Worms niemand eine Chance. Der Tag der Rache solle verschoben und sorgfältig vorbereitet werden. Dieser Gedanke prägte sich ihr unauslöschlich ein.
Wie ein Lauffeuer ging die Kunde durch die Stadt. Hohe Würdenträger und einfache Bürger trauerten um den edlen Helden. Unter Glockenklang wurde er in den Dom überführt, an dessen Nordseite der Königspalast angebaut war. Auf dem Weg trat Hagen hinzu. Da begann Siegfrieds Wunde wieder zu bluten. Alle erkannten das untrügliche Zeichen: Hagen war der Mörder, auch wenn König Gunther das bestritt.
Kunstfertige Goldschmiede schufen für den toten Helden einen Sarg gleich einem Reliquienschrein. Drei Tage und drei Nächte blieb Siegfried im Dom aufgebahrt, wo Kriemhild mit vielen Wormsern seinen Tod beklagte. Wer nicht kommen konnte, der schickte Geschenke. Kriemhild bedankte sich mit Gegengeschenken bei jenen, die mit ihr trauerten.
Nach der Morgenmesse am vierten Tag wurde Siegfried begraben. Ein schier endloser Trauerzug zog in die südliche Vorstadt zum Friedhof bei der St. Meinhardskirche. Für die bisher so gefasste Kriemhild war es fast zu viel. Mit Wasser aus einem Brunnen musste man sie wieder zu Kräften bringen. Noch einmal ließ sie den Sarg öffnen, um das geliebte Antlitz zu küssen. Dann brach sie ohnmächtig zusammen.
WO ABER WURDE SIEGFRIED BEGRABEN?
Der Dichter des Nibelungenlieds, der sich in Worms ausgekannt haben dürfte, dachte wohl wirklich an einen Ort bei der St. Meinhardskirche, auf deren Friedhof die Domgemeinde noch bis um 1800 Tote bestatten ließ. Heute ist das in etwa der Bereich Klosterstraße/Maria-Münster-Straße. In historisch und literarisch interessierten Kreisen hielt sich Jahrhunderte lang die Vorstellung, neben dem Kirchhof befinde sich das Grab eines ungewöhnlich großen Menschen, das "Riesengrab". Sollte das etwa Siegfried gewesen sein? Als Kaiser Friedrich III. 1488 in Worms weilte, wollte er es genau wissen. Auf Kosten der Stadt ließ er nachgraben. Das widersprüchliche Ergebnis haben zwei Chronisten aus der Zeit um 1500 überliefert. Der Stadtschreiber Adam von Schwechenheim hielt fest, dass angeblich ein Kopf und etliche Gebeine gefunden worden seien. Der Mönch von Kirschgarten hingegen schrieb in seine Chronik, man habe nichts gefunden.
Dr. Fritz Reuter
Worms, im Juli 2002
Aus: "Uns ist in neuen Worten ... - Das Nibelungenlied erzählt von Prominenten",
eine Publikation der "Wormser Zeitung", 2003
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